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Marketing-Texte übersetzen – ein spannender Einblick

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ttbw_button Passend zum Weihnachtsfest habe ich heute ein kleines Geschenk hier im Blog – für Sie und für mich. Netzwerk-Kollegin Susanne Nötscher (www.sntrans.de) gibt uns einen spannenden Einblick in ihre tägliche Arbeit: Das Übersetzen von Marketing-Texten.

Alle Jahre wieder blogwichtelt es in meinem Lieblingsnetzwerk Texttreff – bislang ohne mich, denn mir fehlte dazu ein eigenes Blog. Seit Mai 2014 habe ich aber eines – weshalb ich dieses Jahr gerne die Wichtelmütze aufsetze.

Beim Blogwichteln schreiben sich im Texttreff vernetzte Blogbetreiberinnen im Kreistauschverfahren gegenseitig Blogtexte – wer für wessen Blog, entscheidet das Los. Meine Gastgeberin ist Angela Gaida mit Gaida-marketing-de. Angela macht in Marketing, und der glückliche Zufall will es, dass ich selbst ein Gutteil meiner Brötchen mit dem Übersetzen so genannter marketing collaterals, zu Deutsch Marketingmaterialien, verdiene. Das wären also alle Textgenres, die unterm Strich dazu dienen sollen, Menschen zum Kauf einer Sache, zur Nutzung eines Service zu bringen: Direktmailings, Bannerwerbung, Printanzeigen, Produktbroschüren, Headlines, Case Studies, Success Storys, Whitepaper, Newsletter, Websites, Landing Pages, Voice-overs für Videoproduktwerbung und so weiter.

Wie ich konkret zum Übersetzen von Marketingtexten kam, weiß ich nach nun gut 15 freiberuflichen Jahren gar nicht mehr. Ich vermute, es lag daran, dass ich schon immer gerne „Sätze gedrechselt“ habe, und irgendeiner meiner damaligen Kunden für das Eindeutschen speziell dieser Textsorten diese Eigenschaft als nützlich empfand.

Was sie ja auch ist. Die Satzdrechsellust ist ein seltsamer Geisteszustand zwischen hemmungsloser Probierfreude und Korinthenkackerei. Satzbestandteile werden dabei so lange hin- und hergeschoben, umgestellt, vertauscht, auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt, bis sich dieses erlösende Gefühl einstellt: Heureka, jetzt hab ich’s! So klingt es gut. Oder, auf marketingisch gesprochen: So kaufen die Leute dir das ab!

Denn: Etwas (ab)kaufen – genau darum geht es ja beim Marketing. Doch entgegen dem originären Werbetexter, der sein Briefing in der Regel in seiner Muttersprache erhält, muss ich als Übersetzerin die Botschaften aus einem fremdsprachlichen Text destillieren. Was nicht unbedingt einfacher ist. Warum? Weil die Art und Weise, wie Menschen Marketing betreiben, sprich ihre Botschaften an den Mann und die Frau bringen wollen, tief in die eigene Kultur eingewoben ist. Und die collaterals als Überbringer der Frohbotschaft dann genau aus diesem kulturellen Holz geschnitzt sein müssen.

Wenn wir also – zum Beispiel beim Lesen des Satzes oben, in dem ich die ganzen Textsorten aufzähle – leichthin glauben, Marketing sei eine ziemlich englische Angelegenheit, dann stimmt das zwar der Form nach, aber das war es dann auch schon. Wer seine Botschaft auch zielsprachlichen Ohren verständlich machen will – und beim Marketing wollen wir das ja uneingeschränkt, total und völlig –, muss wissen, wie die Zielkultur tickt. Das klingt erst mal banal, zumal dann, wenn wir es mit auf den ersten Blick eher ähnlichen Kulturen wie der angloamerikanischen und der deutschen zu tun haben (die sich jedenfalls ähnlicher sind als, sagen wir mal, die Kultur in Kasachstan und die auf Papua Neuguinea). Es ist aber beileibe nicht trivial. Ich erkläre das an drei Phänomenen.

1. Sag ich’s oder lass ich’s? Explizitheit und Implizitheit
2. Cutting-edge & Fully-fledged: Epitheta
3. Gefühlsdusel meets Nüchterling: Emotion

Eine kleine Bemerkung vorab: Angehörige der angloamerikanischen Kultur mit Muttersprache Englisch werde ich salopp-liebevoll als „Anglos“ bezeichnen, Menschen mit Deutsch als Muttersprache werde ich „Deutsche“ nennen. Wer also in die eine oder andere Gruppe fällt, möge sich mitgezählt fühlen. :-)

Sag ich’s oder lass ich’s?

Anglos lieben Wiederholungen. Diese Art Explizitheit im Text ist ihnen ein Geländer, das Halt und Orientierung beim Lesen und Verstehen gibt. Deutsche sind von so etwas schnell gelangweilt. Richtig ernst genommen und angesprochen fühlen sie sich dann, wenn ihnen vom Autor „Vorwissen unterstellt“ wird. Im Weglassen zeigt sich der Meister! – so ungefähr tickt die deutsche Sprache.

Beispiel gefällig?

The user who submits the print job (called the originating user), can select any combination of user accounts, departments, or Windows Active Directory Groups as the recipients. The originating user can also assign charges or accept costs for the print job themselves. Der Benutzer, der den Druckauftrag bereitstellt, kann eine beliebige Kombination aus Benutzerkonten, Abteilungen oder Windows-Active-Directory-Gruppen als Empfänger seines Auftrags auswählen. Er kann die anfallenden Druckkosten den Empfängern zuweisen oder selbst übernehmen.

Der englische originating user hat die besagte Geländerfunktion: Er wird im zweiten Satz nochmal aufgegriffen. So weiß die geneigte Leserin: Aha, so hängt das zusammen; hier geht’s lang! Wiederholung = Orientierung und Sicherheit.

Ich als Deutsche dachte beim Übersetzen des obigen Satzes: „Wozu diesen Klammernschnickschnack, wenn ich schlichte und elegante Pronomina habe? Der Bezug zwischen ‚Benutzer‘ und ‚er‘ ist doch sonnenklar.“

Weiteres Beispiel? Ein Text, in dem es um ein Toolkit für Softwareentwickler geht. Schon die ganze Zeit geht es um Entwicklungsumgebungen, dann plötzlich folgende Zwischenüberschrift:

Faster, easier and more intuitive developer experience Schneller, einfacher, intuitiver

Der Anglo freut sich ganz bestimmt über den Trittstein als Überleitung zum nächsten Absatz, aber ich dachte beim Übersetzen auch hier wieder: „Mmmja, Entwicklungsumgebung, das wissen wir doch längst. Also weg mit den überflüssigen Wörtern, wir sind doch nicht begriffsstutzig!“

Cutting-edge & Fully-fledged

Wir sind die Schönsten, und unser Angebot ist das tollste! Wir sind world leader in xyz und haben das best product ever entwickelt: Anglos lieben Superlative! Je mehr und doller, desto besser! Deutsche finden das megaprotzig, wenn nicht gar am Ende ein bisschen verlogen. Wes Geistes Kind ich bin, merkt man sofort an dieser Übersetzung:

ABC product is XYZ company’s most flexible control terminal. ABC-Produkt ist ein hochflexibles Kontrollterminal von XYZ.

Hier geht es im Deutschen sogar noch relativ super zu. Aber „flexibelstes“? Sorry, das geht gar nicht! Das ist doch komplett gelogen! Und rein faktisch natürlich so auch nicht gemeint. Trotzdem: Anglos drücken es gerne genau so aus, wenn sie von ihrem Produkt schlicht nur überzeugt sind!

For the best flavour, use the best natural ingredients. Guter Geschmack braucht gute Zutaten.

Guter Geschmack, gute Zutaten – bumm, aus, Ende. Mehr muss nicht. Ehrlich bei den Fakten bleiben (sagte ich mir, als ich die Übersetzung drechselte).

Gefühlsdusel meets Nüchterling

Anglospeak ist eher emotional, Deutschsprech nüchterner, und letztlich wurde das schon bei Punkt 2 klar:

Enjoy this Ricoh-only limited promotion for small businesses in Europe. Dieses Angebot von Ricoh richtet sich speziell an kleinere Unternehmen und Bildungsinstitutionen in Europa.

Hach, have fun and enjoy! Und wo ist im Deutschen bitteschön der schöne Genuss hin, in den der Kunde kommen soll? Eigentlich schade drum, aber eine wörtliche Übersetzung hätte doch schlicht lächerlich geklungen …

Consider the glossy magazine-type experience that marketers produce to romance customers as compared to the functional, dry, and inflexible catalog customers encounter when they decide to buy. Die Markenwebsite besticht in der Regel durch ein attraktives Design und hochwertige, interessante Inhalte, während der Webstore meist nicht mehr ist als ein technisch anmutender, unflexibler und rein funktionaler Produktkatalog.

Wo im Englischen Marketer ihre Kunden zu verzaubern wissen (which is their job alright!) und bemitleidenswerte Kunden mit herzlos-starren Webkatalogen konfrontiert werden, bleiben im Deutschen die Emotionen ganz klar außen vor. Die Website besticht, der Produktkatalog ist. Wie die Empfängerseite das sehen könnte, wird nicht zum Ausdruck gebracht. Englisch ist eine agensbetonte Sprache: Person X tut/lässt/wünscht etwas. Damit kann das Englische viel schneller auf einen „emotionalen Kurs“ geraten als das Deutsche, das Gefühle hinter der (zugegeben oft superpraktischen) Möglichkeit der unpersönlichen Konstruktion „verstecken“ kann.

Die Spitze des Eisbergs kulturbedingter Sprachunterschiede in Marketingtexten hätten wir nun touchiert. In die Tiefe gehen wie weiland die Titanic, das schenken wir uns an dieser Stelle. Schließlich ist bald Weihnachten alias X-mas – vermutlich die Hochsaison des Marketings. Wenn Sie sich bei den letzten Weihnachtskäufen von schönen Marketingbotschaften verführen lassen, dann können Sie jetzt wenigstens ansatzweise sagen, warum die Sprüche bei Ihnen landen. Marketing ist Ausdruck der eigenen Kultur. Und der ein bisschen auf den Grund zu gehen, lohnt sich allemal.

Merry Christmas und rutschen Sie gut!

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